Eine Gefühlsstudie: Klimaangst und Überforderung - Moeon

Eine Gefühlsstudie: Klimaangst und Überforderung

Traurig, nervös, wütend, ohnmächtig, hilflos und schuldig - so fühlen sich mehr als zwei Drittel der Jugendlichen in Deutschland aufgrund der Klimakrise.1 Oft werden diese Emotionen unter einem einzigen Begriff zusammengefasst, der “Klimaangst” - ein Gefühl, das nicht nur junge Menschen kennen und das mit Sicherheit nicht unbegründet ist.

Obwohl ein Großteil der Menschen in Deutschland den Klimawandel zwar als ernste Bedrohung wahrnimmt, schaffen es bislang dennoch viele nicht, ihr Verhalten dementsprechend zu ändern.2 Je größer das Ungleichgewicht zwischen dem wahrgenommenem Risiko und den wahrgenommenen Handlungsmöglichkeiten ist, desto wahrscheinlicher sind Abwehrreaktionen wie Leugnen oder Wegschieben - oder auch ein Starrwerden in der Angst.

Wie gehen wir mit der Angst um?

„Vielen Menschen fehlt […] das Gefühl, selbst etwas verändern zu können“, so Gerhard Reese, Professor für Umweltpsychologie an der Uni Koblenz-Landau. Aus evolutionärer Sicht haben wir nicht gelernt, mit einer Bedrohung wie dem Klimawandel umzugehen. “Einige menschliche Denkmuster, die im Laufe der Evolution nützlich für das menschliche Überleben waren – etwa weil sie uns geholfen haben, Informationen zu filtern oder schnell zu reagieren – sind im Bezug auf den Klimawandel sogar hinderlich.”3 Evolutionstechnisch betrachtet gibt es lediglich drei Handlungsoptionen, die der Mensch in Gefahrensituationen anwendet: angreifen, fliehen oder sich tot stellen. Sich der Auseinandersetzung mit dem Klima zu entziehen und das Thema zu verdrängen, ließe sich also mit Flucht oder Totstellen vergleichen.

Über den evolutionären Aspekt hinaus gibt es weitere Verarbeitungsprozesse in unserem Gehirn, die nachhaltiges Handeln erschweren. „In unserem Gehirn laufen zwei Verarbeitungsprozesse gleichzeitig: Einerseits der erfahrungsbasierte, der schnell und emotional verläuft. Andererseits der analytische, langsamer und weniger emotional“, erklärt Torsten Grothmann vom Lehrstuhl für Ökologische Ökonomie der Universität Oldenburg.4 Es handelt sich dementsprechend um die analytische Ebene, auf der wir begreifen, dass die Klimakrise eine Bedrohung darstellt. Persönlich sind aber die wenigsten Menschen in Deutschland von dieser Bedrohung akut betroffen. Die allgemeine Erfahrung spricht also gegen die Analyse, daher führen die beiden Verarbeitungsprozesse zu unterschiedlichen Ergebnissen. In diesem Fall setzt sich meist die erfahrungsbasierte Einschätzung durch. Mittlerweile verändert sich allerdings auch hierzulande die Erfahrung. „Das Betroffenheitsgefühl hat zugenommen“, so Grothmann.5

Viel wichtiger für eine Veränderung in unserem Handeln sei allerdings, dass wir uns sehr stark daran orientieren, wie sich die Menschen um uns herum verhalten. In einem Großteil der westlichen Gesellschaft ist ein konsumorientierter, CO2-intensiver Lebensstil nach wie vor die Norm, die vielen als Rechtfertigung dient: Warum soll ich auf Fleisch oder Fernflüge verzichten, wenn alle um mich herum das nicht tun?

Die Rolle des Einzelnen

Aber wie wichtig ist der Verzicht des Einzelnen überhaupt? Seit inzwischen 30 Jahren gibt es die Idee des persönlichen ökologischen Fußabdrucks. Zunächst von Mathias Wackernagel und Bill Rees im Rahmen einer Doktorarbeit erfunden, um die Emissionen von Städten und Ländern berechnen zu können, wurde das Konzept in den frühen 2000er Jahren vom Ölkonzern BP für eine extrem erfolgreiche Werbekampagne instrumentalisiert. Der Konzern lenkte damit geschickt die Aufmerksamkeit vom massiven CO2-Fußabdruck der Ölkonzerne auf Individuen um, indem er einen Rechner rausbrachte, mit dem Einzelpersonen ihren persönlichen Fußabdruck berechnen konnten.

Dabei kann kein Individuum allein und nur durch Konsum(verzicht) den Wandel hervorrufen, der für eine Erreichung des 1,5-Grad-Zieles notwendig ist. Das zeigt auch der ökologische Fußabdruck: Wis­sen­schaft­le­r*in­nen am MIT haben errechnet, dass selbst ein obdachloser US-Amerikaner ohne Auto einen Fußabdruck von über 8 Tonnen Kohlendioxid im Jahr hätte.6 Und auch der Coronalockdown hat erwiesen: Selbst wenn die Welt stillsteht, stoßen wir zu viel CO2 aus. Damals gingen die weltweiten Emissionen lediglich um etwa sieben Prozent zurück.7 Was wir also brauchen, ist ein kollektiver Wandel, in Politik, Wirtschaft, Mobilität und Landwirtschaft.


Klimakrise und gesellschaftlicher Wandel

Und das wird immer schwieriger. Wie Menschen mit dem Wissen um den Klimawandel umgehen, hängt nämlich maßgeblich von ihrem ideologisch Standpunkt ab. Eine US-Studie belegt beispielsweise, dass Menschen, die den Republikanern nahestanden, mit zunehmendem Wissen über den Klimawandel die Bedrohung dennoch geringer einschätzten. Das liegt an der Filterfunktion in unserem Gehirn, die uns hilft, Informationen abzuspeichern, indem sie Wichtiges filtert. Wissen wird dabei aber auch verdreht und verzerrt - denn am Ende merken wir uns vor allem das, was unseren eigenen Wert- und Normvorstellungen entspricht. Alles, was nicht ins Bild passt, wird verdrängt oder bezweifelt. „Bei vielen Republikanern gehört es eben zur Ideologie, dass es den Klimawandel entweder nicht gibt oder dass er nicht vom Menschen verursacht wird. Bei Anhängern der AfD ist es ähnlich.“8

Als wäre das an sich nicht schon problematisch genug, führt das Zusammenspiel aus der Orientierung an anderen und der selektiven Auswahl von Wissen außerdem dazu, dass sich die politischen Lager immer weiter voneinander entfernen. In einer Bedrohungssituation folgen Menschen nämlich noch stärker ihrer eigenen Gruppe, und das bedeutet, die Linken werden linker und die Rechten rechter.9


“The revolution won’t happen by people staying home and being good.”10

- Rebecca Solnit

Das Klimachaos erfordert, dass wir erkennen, wie alles miteinander verbunden ist. Die Autorin Rebecca Solnit führt den inneren Konflikt, den einige von uns kennen, auf die Frage zurück, ob wir uns selbst als Verbraucher*in oder als Bürger*in identifizieren. “Verbraucher*innen definieren sich über das, was sie kaufen, besitzen, anschauen - oder auch nicht. Bürger*innen sehen sich als Teil der Zivilgesellschaft, als Akteure im politischen System.”11 Dabei müssen sich individuelles und kollektives Handeln aber gar nicht gegenseitig ausschließen - es ist vielmehr ausschlaggebend, dass wir auf beiden Ebenen aktiv werden.

 

 

 

Text: Kathrin Weins

Illustration: © Tanya Teibtner

 

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