Von Kritik und Hoffnung: Das Lieferkettengesetz

Von Kritik und Hoffnung: Das Lieferkettengesetz

Wir verkaufen nicht nur schöne und nachhaltige Dinge. Wir beschäftigen uns auch persönlich und politisch mit dem System, in dem sie entstehen. Die Gedanken, die wir uns dazu machen, wollen wir hier mit euch teilen.

Kann ethischer Konsum die Welt verbessern? Eine Erzählung, die sich hartnäckig hält, ist die vom Kassenzettel als Stimmzettel. Sie wird gerne von denjenigen vorgetragen, die vor allem Kritik an der Einschränkung der freien Wirtschaft üben. Ändere erstmal deinen Konsum, sagen sie, dann hast du doch ein Druckmittel. Der freie Markt regle das schon.

"Dieses Gesetz ist nur noch ein blasser Schatten dessen, was es ursprünglich war und was es sein könnte - und das lassen wir nicht durchgehen."

Eva-Maria Schreiber, die Linke


Die Macht zur Veränderung wird mit diesem Narrativ allerdings auf die Konsument*innen abgeschoben. Grundsätzlich ist es aber, so steht es im Grundgesetz, Aufgabe des Staates, Menschenrechte zu schützen.
Deutschland hat jetzt endlich ein Lieferkettengesetz, es wurde im Bundestag mit 412 gegen 159 Stimmen angenommen. Vor allem die Linke hat sich aber enthalten.1 Grund dafür ist laut der Linken-Abgeordneten Eva-Maria Schreiber, “dass dieses Gesetz nur noch ein blasser Schatten dessen ist, was es ursprünglich einmal war und was es sein könnte - und das lassen wir […] nicht durchgehen.” 2

 

Die Mängel des Gesetzes

Stimmt das denn? Beim genauen Hinsehen zeigt sich: Dieses Gesetz macht gewaltige Unterschiede darin, welche Menschen als schützenswert betrachtet werden und welche nicht. Die Unternehmen sind nämlich nur für ihre direkten Vertragspartner*innen verantwortlich. Für alle weiteren, indirekten Zulieferer*innen wie beispielsweise Rohstofflieferant*innen “müssen Unternehmen nur tätig werden, wenn sie Hinweise auf Verstöße erhalten. [...] Dieses Lieferkettengesetz wird also Textilarbeiter*innen, Färber*innen oder Baumwollfarmer*innen, die am Anfang der Produktionsketten stehen, nicht vor Menschenrechtsverletzungen schützen.“ 3

Darin kann man auch einen “Anreiz zum Wegschauen” 4 sehen, denn je weniger über Missstände in den Lieferketten bekannt ist, desto weniger müssen Firmen auch dagegen unternehmen. Betrachtet man zum Beispiel die Lieferketten der Modeunternehmen, wird schnell deutlich, wie kompliziert das globale System aus Zulieferern und Subunternehmen in unserer Gegenwart geworden ist. Das Ganze gleicht inzwischen eher einem komplexen, teils undurchschaubar verwobenen Netz als einer linearen Kette.

Im Vergleich zum französischen Lieferkettengesetz, dem Loi de vigilance, fehlt dem deutschen Gesetz außerdem die zivilrechtliche Haftung - “und damit die Möglichkeit für Opfer schwerer Menschenrechtsverletzungen, vor deutschen Gerichten Schadensersatz einzuklagen.” 5 Deutschen Unternehmen drohen bei einem Verstoß lediglich Bußgelder. Auch der Umweltaspekt wird vom Lieferkettengesetz viel zu wenig mit eingeschlossen. So werden Umweltzerstörungen durch Produktion und Rohstoffan- bzw. Abbau gar nicht erst in das Gesetz mit aufgenommen, genauso wenig wird das Klima als Schutzgut berücksichtigt. 

Im Lauf der letzten anderthalb Jahre gab es etliche Diskussionen über den Entwurf des Lieferkettengesetzes, vor allem der ehemalige Wirtschaftsminister Peter Altmaier hat sich quergestellt, wie auch einige Wirtschaftsverbände. Das Gesetz wurde als “Bürokratiemonstrum” bezeichnet - oder auch als “das dümmste Gesetz, das von der großen Koalition verabschiedet wurde”. 6

Ursprünglich war geplant, Unternehmen ab einer Größe von 500 Mitarbeiter*innen dazu zu verpflichten, ihre Lieferketten zu überprüfen. Das jetzt verabschiedete Gesetz greift ab 2023 lediglich für Unternehmen mit mehr als 3000 Mitarbeitenden - also deutschlandweit für 600 Unternehmen, statt wie geplant für über 4.300.

 

Lieferkettengesetz goes Europe

“Wir befürchten, dass wir durch das schwache Gesetz in Deutschland mehr Widerstand im EU-Ministerrat bekommen. Dort hat Deutschland eine große Macht. Das schlimmste Szenario wäre, dass die Bundesregierung im Rat den europäischen Vorschlag so abschwächt, wie sie es in Berlin getan hat.”

Anna Cavazzini, Bündnis 90/ die Grünen

Eine neue Hoffnung der Aktivist*innen ist ein Lieferkettengesetz auf EU-Ebene, das für alle Unternehmen des Kontinents gelten soll. Dennoch befürchtet auch dabei Grünen-Politikerin Anna Cavazzini, “dass wir durch das schwache Gesetz in Deutschland mehr Widerstand im EU-Ministerrat bekommen. Dort hat Deutschland eine große Macht. Das schlimmste Szenario wäre, dass die Bundesregierung im Rat den europäischen Vorschlag so abschwächt, wie sie es in Berlin getan hat.” 7 Und auch die Lobbyisten in Brüssel sitzen wieder in den Startlöchern. Sie werden versuchen, das Gesetz im Interesse ihrer Unternehmer- und Wirtschaftsverbände so stark zu verwässern wie möglich.

Im Moment sieht der Entwurf allerdings noch ganz gut aus: Unternehmen müssen ihre gesamten Lieferketten auf Missstände hin abklopfen, auch eine umweltbezogene Sorgfaltspflicht ist mit inbegriffen und Unternehmen, auch kleinere, müssen für Missstände haften.8 Es dauert aber sicher noch einige Jahre, bis das Gesetz wirksam ist - Jahre, die für die Arbeiter*innen in weiten Teilen der Lieferketten nicht zumutbar sind. Und ein Votum für Das Gesetz wurde gerade erst zum dritten Mal von der EU-Kommission verschoben, ohne Gründe dafür zu nennen.

Daher muss die nächste deutsche Regierung dringend das Lieferkettengesetz nachbessern: Unternehmen müssen verpflichtet werden, ihre gesamten Lieferketten auf Menschenrechtsverletzungen zu überprüfen, im Fall von Missständen aktiv werden und der Umweltaspekt muss mit in das Gesetz aufgenommen werden.

 

https://taz.de/Bundestag-beschliesst-Lieferkettengesetz/!5774706&s=lieferkettengesetz/
https://www.linksfraktion.de/parlament/reden/detail/eva-maria-schreiber-chance-verpasst-lieferkettengesetz-voller-luecken/
https://fashionchangers.de/einigung-beim-lieferkettengesetz-ein-langer-weg-fuer-die-menschenrechte/
https://lieferkettengesetz.de/2021/03/01/gesetzentwurf-mit-massiven-schwachstellen/
5 ebd.
https://www.zeit.de/wirtschaft/2021-05/grosse-koalition-lieferkettengesetz-wirtschaftsverbaende-menschenrechte-buerokratie
https://www.zeit.de/wirtschaft/2021-02/eu-lieferkettengesetz-unternehmen-menschenrechte-kinderarbeit-anna-cavazzini
https://lieferkettengesetz.de/2021/03/11/nachster-schritt-zu-europaischem-lieferkettengesetz/

 

Text: Kathrin Weins

Illustration: © Tanya Teibtner