Klimaneutralität - nichts als Greenwashing? - Moeon

Klimaneutralität - nichts als Greenwashing?

Nachhaltigkeit verkauft sich gut. Das wissen auch Unternehmen, denen an Umsatz mehr liegt als an der Umwelt. Eine beliebte Marketingstrategie ist daher, die eigenen Produkte und deren Einfluss grüner, schöner, größer darzustellen, als eigentlich der Fall ist - oder, anders formuliert, Greenwashing zu betreiben.

Interessant ist dabei, dass es nicht nur große Konzerne sind, die sich dieser Tricks bedienen. Es sind auch Unternehmen, die den Eindruck erwecken, aus ehrlicher Überzeugung nach einer Verbesserung für den Planeten zu streben. Wie kann man da als Verbraucher*in noch den Überblick behalten, wem man glauben kann?

Erste Anzeichen für Greenwashing können z. B. fehlende Nachweise, vage Aussagen, oder, ganz simpel, grün anmutende Verpackungen sein. Hier lohnt es sich, kritisch hinzuschauen. Gerne verwendet werden auch Bezeichnungen, die nach viel klingen, aber wenig bedeuten: nicht geschützte Begriffe wie “organisch” oder “biologisch”. Nur das Wort “Bio” ist zertifiziert, die anderen Begriffe haben kaum Aussagekraft.

Nicht geschützt sind auch die Wörter “klimaneutral” oder “klimapositiv”, mit denen auch nachhaltige Modelabels werben, unter anderem Armed Angels oder Organic Basics. Doch was soll das genau bedeuten?

Der Weg zur Klimaneutralität

Um Klimaneutralität zu erreichen, werden die Emissionen eines Unternehmens berechnet und idealerweise daraufhin reduziert. Dabei können aber nie alle Emissionen eliminiert werden. Viele Unternehmen versuchen daher, diesen Überschuss durch eine Spende an CO2-verringernde Projekte auszugleichen. Wer in den letzten Jahren geflogen ist, kennt dieses Prinzip bereits: Durch Spenden an Aufforstungsprojekte im Regenwald oder den Bau von Biogasanlagen in Kenia kann man sich von der eigenen Flugscham freikaufen.

Besonders fragwürdig an dieser Form des modernen Ablasshandels ist jedoch, dass einige Unternehmen den Schritt überspringen, die eigenen Emissionen zu reduzieren. Stattdessen zahlen sie direkt an sogenannte Kompensationsprojekte, um ihre Emissionen auszugleichen. Die Ursache für das Problem wird also gar nicht erst angegangen, stattdessen werden nur die Symptome bekämpft. Ein weiterer Kritikpunkt ist, dass die Ergebnisse der Emissionsberechnungen stark von der verwendeten Methodik sowie der verfügbaren Datengrundlage abhängen. Somit ist unklar, ob dabei überhaupt alle ausgestoßenen Emissionen einer Firma erfasst werden.1

Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie viel die CO2-einsparenden Projekte eigentlich bringen. Diese Kompensationsprojekte können nämlich auch schiefgehen. Nehmen wir das Beispiel Aufforstung: Gegebenenfalls wachsen gepflanzte Bäume nicht an oder brennen ab.2 Ein aufgeforsteter Wald ist nämlich anfälliger für Waldbrände, Dürre und Schädlinge als ein Wald, der langsam und natürlich gewachsen ist. “Dadurch besteht die Gefahr, dass der Wald schnell wieder zerstört und das gebundene CO2 wieder frei wird. Eine CO2-Senkenwirkung ist damit immer nur temporär.” 3

Die Kapitalisierung von CO2

Dies würde bedeuten, dass das CO2 zwar auf dem Papier weniger geworden wäre, sich in Realität aber keine Auswirkungen zeigen. Laut Studien wären außerdem viele dieser Projekte auch ohne Kompensationsinvestition umgesetzt worden: “Manche Projekte wurden bereits vor Jahren umgesetzt und im Nachhinein angerechnet, oder Emissionen wurden im Vorfeld künstlich nach oben getrieben. Kompensationsprojekte führen somit selten dazu, dass Emissionen eingespart werden, aber häufig dazu, dass Menschen im Globalen Süden von Industrieländern weiter bevormundet werden.” 4

Denn auch das ist eine Kehrseite der erkauften Klimaneutralität: Durch Kompensationsprojekte  werden “eingefahrene Muster des Kapitalismus, Kolonialismus und des Patriarchats aufrechterhalten.” 5 Bereits jetzt führen sie in vielen Ländern zu Landraub und Vertreibung.6 Das begünstigt die Aufrechterhaltung kolonialer Strukturen. Wer es sich leisten kann — also  vorrangig westliche Länder und deren Bevölkerung — erkauft sich das Recht auf CO2-Verbrauch. Die Maßnahmen zur Einsparung nimmt man dort vor, wo man selbst nicht ist, und wo die Menschen bereits unter den ersten spürbaren Folgen des Klimawandels leiden.7

Indem die Umwelt zur Ware degradiert wird, schafft das Kompensationssystem weitere Ungleichheiten. “Mit der Vergabe und regelmäßigen Überprüfung von Zertifikaten wird viel Geld verdient. Dadurch können sich zumeist kleinere Unternehmen oft keine Zertifizierung als beispielsweise klimaneutrales Unternehmen leisten, obwohl sie alle Kriterien erfüllen.” 8

Ein bleibender Zweifel

Das erfordert wiederum, als Verbraucher*in genau hinzusehen — wie bei den eingangs erwähnten Fair Fashion Brands Armed Angels und Organic Basics. Beide Marken liefern umfangreiche, fundierte Berichte darüber, wie sie ihre Emissionen berechnen und mit welchen Maßnahmen sie diese ausgleichen. Liegen dazu keine genauen Auskünfte darüber vor, lässt sich Greenwashing vermuten.9

Um es den Konsument*innen leichter zu machen, liegen inzwischen erste Gerichtsbeschlüsse vor, die vorschreiben, dass “Unternehmen, die mit dem Begriff werben, transparent machen müssen, wie sie die Klimaneutralität erreicht haben. Die Wettbewerbszentrale, ein deutscher Wirtschaftsverein, hatte gegen einige Unternehmen geklagt. Das ist ein Anfang.” 10

Dennoch hinterlässt das Ziel Klimaneutralität Zweifel. Es priorisiert Treibhausgase gegenüber anderen zu schützenden Aspekten wie Biodiversität, sauberer Luft und Wasser, aber auch gegenüber Gesundheit, Geschlechtergerechtigkeit und Ressourcenschonung.11 Fraglich bleibt, “wie sinnvoll es wirklich ist, jeden noch so klimaschädlichen Lebensbereich klimaneutral zu rechnen – jedes Stück Fleisch über Bäume kompensieren zu wollen. Erste Wissenschaftler warnen schon, dass es gar nicht genug Platz auf der Welt gibt, für all die Bäume und Wälder, die das CO2 aufnehmen sollen, das die Welt in den kommenden Jahrzehnten kompensieren will.” 12 Die sinnvollste Lösung bleibt nach wie vor, so wenig wie möglich zu verbrauchen.

 

 

1 https://klima-der-gerechtigkeit.de/2020/04/22/die-risiken-der-klimaneutralitaet-weshalb-die-derzeitigen-umsetzungsversuche-den-prinzipien-der-klimagerechtigkeit-widersprechen/
2 https://fashionchangers.de/wie-nachhaltig-ist-klimaneutral-oder-klimapositiv/

3 https://www.freitag.de/autoren/guido-speckmann/klimaneutralitaet-gibt-es-nur-auf-dem-papier
4 ebd.
5 ebd.
6 https://werde-magazin.de/blog/2021/07/05/imeh-ituen-ich-wuensche-mir-radikale-demokratische-loesungen/
7 https://klima-der-gerechtigkeit.de/2020/04/22/die-risiken-der-klimaneutralitaet-weshalb-die-derzeitigen-umsetzungsversuche-den-prinzipien-der-klimagerechtigkeit-widersprechen/
https://fashionchangers.de/wie-nachhaltig-ist-klimaneutral-oder-klimapositiv/
9 ebd.
10 https://www.zeit.de/2021/53/klimaneutralitaet-co2-ausgleich-unternehmen-greenwashing
11 https://www.freitag.de/autoren/der-freitag/klimaneutralitaet-gibt-es-nur-auf-dem-papier
12 https://www.zeit.de/2021/53/klimaneutralitaet-co2-ausgleich-unternehmen-greenwashing

 

Text: Kathrin Weins

Illustration: © Tanya Teibtner

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